In welchem digitalen Zeitalter leben wir eigentlich? Chris Dixon, der Start-Ups der Digitalindustrie finanziell weiterentwickelt, hat kürzlich eine vereinfachte These gewagt: Von den Pull-Jahren der 2000er sind wir bei den Push-Jahren der 2010er angekommen.

Pull meint, dass Internetnutzer konkret nach Antworten und Inhalten suchen, die Information also herziehen. Die Königsplattform: Die Suchmaschine Google. Push steht für die Nutzung sozialer Netzwerke, um interessante Inhalte via Shares oder Tweets zu verbreiten. Wir konsumieren Information in diesem Fall eher passiv, da wir uns von Inhalten in den sozialen Netzwerken finden lassen und sie nicht aktiv ansteuern.

Die Pull- und Push-Dynamiken

Dixons Blogbeitrag „Two eras of the internet: pull and push“ umreisst prägnant die herrschenden Prozesse im Netz. Man sollte ihn unbedingt lesen. Kurz zusammengefasst: Vor zehn Jahren war Pull der grosse Treiber im Internet: Nutzer wollten von Anbietern mehr wissen, diese passten ihre Webseiten an diesen Bedarf an, was erneut zu einer stärkeren Nachfrage nach Informationen führte. Heute liege die grösste Dynamik im Push-Mechanismus, dessen sich die sozialen Netzwerke bedienen. In diesen werden vor allem in sich geschlossene Einheiten (Dixon nennt sie „Media“) geteilt, also Artikel, Illustrationen, Videos, Fotos, Listen etc. Da die Halbwertszeit dieser Inhalte in den sozialen Netzwerken gering ist, entsteht ein konstanter Druck auf die Produzenten, weitere solche Einheiten nachzulegen – und nochmals nachzulegen. Ein digitaler Sisyphus-Effekt quasi.

Wie es zu diesem Wandel von Pull zu Push überhaupt gekommen ist, wie sich die Kommunikation dadurch verändert hat und welche Möglichkeiten, aber auch Risiken sich daraus ergeben, darauf geht Dixons kurzer Artikel nicht ein.

Herumgefragt: Wie kommen wir zu Inspirationen?

Für mich stand aber die Frage im Raum: Prägt heutzutage mehrheitlich die Pull- oder die Push-Dynamik unser Informationsverhalten? Wenn Push der treibende Faktor der 2010er-Jahre ist, dann sollte sich doch das auch darin zeigen, dass wir uns vermehrt passiv in sozialen Netzwerken von Informationen finden lassen.

Als Gradmesser um diese These zu überprüfen, diente mir die Art und Weise, wie meine Team-Mitglieder Informationen aufnehmen. Um die Frage einzugrenzen, wollte ich die digitalen Inspirationsquellen meiner Kolleginnen und Kollegen erfahren. Konkret sollten sie mir auch sagen, welche Tweeter sie darunter speziell schätzen. Lassen sie sich von bestimmten Inhalten finden (Push) oder suchen sie konkret nach Inhalten (Pull)?

Hier die Resultate. Nun vorweg, das Pull-Zeitalter ist noch nicht ganz passé.

Die Push-Verfechter, also die Feed-Nutzer diverser Kanäle, fand ich in allen Abteilungen. Ein Entwickler hat seine Twitter-Quellen für Journalismus (@ConstSeibt), Programmierung und Digitales (@alex_gaynor) sowie Doppelbödiges (@Der_Postillon). In der Grafikabteilung ist Twitter (z. B. @smashingmag) nur einer unter vielen Kanälen. Beliebt sind dort die Feeds der Plattform Behance und natürlich auch Facebook. In der Beratung und Projektleitung wird auch eher Facebook genannt, wo einem Neues aus dem eigenen Netzwerk entgegenkommt.

Gleichzeitig besuchen viele ihre Lieblingsquellen aktiv, also Pull. Man grast The Guardian und New Statesman ab, widmet sich den Websites von NASA und Discovery Channel oder kommt immer wieder mal bei bevorzugten Blogs über SEO, Marketing und Musik vorbei.

Push und Pull. An den Feeds hängen und auch aktiv Inhalte aufsuchen. Beide Formen werden genutzt. Das von Dixon postulierte Push-Jahrzehnt hat – zumindest in unserer Firma – noch keine Nur-Nutzer von sozialen Netzwerken hervorgebracht. Ob die inhaltliche Versorgung via Push- statt über Pull-Quellen im Vormarsch ist, konnte ich mit dieser einmaligen Befragung natürlich nicht feststellen. Dafür müsste man das mehrmals über Jahre hinaus machen.

Inspiration kommt zwingend von aussen

Ich zeigte meine Resultate einer Freundin, die über Online-Partizipation forscht. Als Erstes fragte sie sich, was ein Wandel zu Push für den Einzelnen bedeuten könnte. «Push-Kanäle haben sich ja auf dem Hintergrund dessen gut entwickelt, dass Inspiration von aussen elementar ist – und mit aussen meine ich die ganze Erfahrungswelt aller anderen.» Wenn andere mit einem interessante Artikel, Fotos oder Videos teilen, die sie selbst toll finden, dann komme man aus der eigenen Filter Bubble raus, meinte die befreundete Forscherin weiter. Ist das immer noch so, frage ich mich. Natürlich, Twitter hat einen ungefilterten Feed, aber bei Facebook wird mir doch vermehrt Verwandtes von Beiträgen angezeigt, die ich früher gelikt oder geteilt habe. Die Vielfalt verschwindet.

Manche Menschen suchen gezielt nach dieser Aussenperspektive. Bei meiner allgemeinen Umfrage über spannende Internetquellen, haben mich zwei Antworten wirklich erstaunt. Eine Mitarbeiterin erklärte mir, dass sie zur Inspiration keine digitalen Tools nutze, die Ideen von Freunden und Mentoren bringe sie dagegen weiter. Und ein Entwickler fügte an: «Meine Freunde haben nichts mit Programmierung am Hut, so erhalte ich in persönlichen Gesprächen immer auch eine wertvolle Aussensicht.»

Vielleicht ist die entscheidende Frage am Ende gar nicht, ob Push oder Pull unser Informationsverhalten mehrheitlich prägt. Sondern zu welchem Grad wir tatsächlich in unserer eigenen, durch Push und Pull gut informierten Filter Bubble stecken. Andersartige Erfahrungen aus der Aussenwelt würden uns dann immer weniger erreichen.

Liebe Leserin, lieber Leser: Finden Sie die Einteilung von Dixon in die Pull- und Push-Jahre zutreffend? Oder zumindest hilfreich? Diskutieren Sie hier mit.

Referenz
Chris Dixon, Two eras of the internet: pull and push, 21.12.2014
Chris Dixon ist General Partner bei der Venture Capital Firma Andreessen Horowitz in Menlo Park (Silicon Valley)

Dieser Beitrag erschien zuerst bei der Agentur Feinheit am 4.1.2015.